- Sultanat von Delhi: Koexistenz der Religionen
- Sultanat von Delhi: Koexistenz der ReligionenIm Zuge arabischer Eroberungen unter den Omaijaden (661—750) war es einem Truppenkontingent unter Führung Mohammed ibn Kasims gelungen, bis nach Sind vorzudringen und die dortige buddhistisch geprägte Region zu erobern. Während der nächsten Jahrzehnte wurde dieses Gebiet von den Abbasiden (750—1258) direkt verwaltet, d. h., die jeweiligen Statthalter schickten die Abgaben direkt nach Bagdad. Insgesamt wissen wir sehr wenig über die Verhältnisse dieser Zeit, zumindest war aber ein erster Berührungspunkt zwischen der islamischen Welt und Indien entstanden. Dennoch hatte dieses Ereignis eher episodenhaften Charakter, da die weitaus wichtigere Begegnung zwischen dem Islam und den Kulturen des indischen Subkontinents aus einer vollkommen anderen Richtung kam.Muslimische HerrschaftsetablierungAm Anfang des 11. Jahrhunderts fiel Mahmud von Ghazni wiederholt in Nordindien ein und kehrte stets mit großer Beute und noch größerem Prestigegewinn in sein türkisch-persisches Reich zurück. War es noch Mahmuds Anliegen gewesen, Beutezüge nach Indien zu unternehmen, so schuf sich die nachfolgende ostiranische Dynastie der Ghoriden in Indien ein zweites Standbein: Als ihr Reich am Ende des 12. Jahrhunderts zusammenbrach, gelang es Muiss ad-Din und seinem Heerführer Qutb-ud-din Aibak ab 1192, sich erste nordwestindische Gebiete dauerhaft untertan zu machen. Damit stand den Muslimen das Tor nach Nordindien offen. Im folgenden Jahr drangen sie weiter vor und errichteten das Sultanat von Delhi.Man darf sich natürlich nicht vorstellen, dass die Oberhoheit Muiss ad-Dins und Aibaks in den von ihnen eroberten Gebieten grundsätzlich anerkannt wurde. Vielmehr beschränkte sich ihre Herrschaft auf einige wenige Städte in Nordindien. Zudem gab es von Beginn an Bestrebungen der Militärführer und Statthalter, sich von ihrem Herrn loszusagen, um selbst in den ihnen zugewiesenen Territorien regieren zu können. Dennoch haben es durchsetzungsfähige Herrscher im Verlaufe der nächsten beiden Jahrhunderte immer wieder vermocht, diese potenziell Abtrünnigen im Zaum zu halten, eine patrimoniale Administration aufzubauen und die Vormachtstellung des Delhisultanates im Norden des Subkontinentes auszubauen.Schams ad-Din Iltutmisch (1210—36)Nach dem Tode Aibaks 1210 konnte sich Iltutmisch gegen Aram Schah, den Sohn Aibaks, durchsetzen. Die Mehrzahl der Feldzüge des neuen Sultans richtete sich nicht gegen einheimisch-indische Oppositionsgruppen, sondern gegen die Emire von Muiss ad-Din und Aibak. Viele von ihnen hatten sich bereits 1206 für unabhängig erklärt und eigene Herrschaften aufgebaut. Im Verlauf der militärischen Unternehmungen gelang es Iltutmisch jedoch, seine Widersacher niederzuringen. Zur Sicherung seiner Autorität versuchte er darüber hinaus, eine homogene Gruppe ihm ergebener Höriger zu schaffen. So entstand eine neue Elite, die sich vor allem aus freien Militärführern und nur ihm persönlich untergebenen Sklaven zusammensetzte. An diese verlieh Iltutmisch nicht vererbbare Pfründen, d. h. Ländereien, in denen ihnen ein festgelegtes Quantum der Abgaben zustand. Als Gegenleistung hatten die Pfründner dem Sultan im Bedarfsfall eine festgelegte Truppenzahl zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig wurde jedoch zur besseren Kontrolle in das jeweilige Gebiet von Delhi aus ein Aufseher beordert, der eine genaue Liste sämtlicher Tribute und Einnahmen aufzustellen hatte und für die Verteilung der Gelder unter die Soldaten und Pfründeninhaber sowie für die ordnungsgemäße Abfuhr eines Fünftels an den Sultan in Delhi verantwortlich war. Ferner stand es dem Herrscher frei, die Pfründner nach strategischen Notwendigkeiten beliebig oft zu versetzen. Eine Sonderstellung nahmen die Prinzen ein: Ihnen wurden territorial gebundene Statthalterschaften in strategisch bedeutsamen Gegenden überantwortet, sodass sie letztlich höhere Positionen als die anderen Pfründner innehatten. Die inneren Angelegenheiten der »Lehen« blieben in den meisten Fällen in den Händen der Einheimischen.Über den Prozess des Aufstiegs Delhis zur vorherrschenden Macht in Nordindien sind wir nur schlecht informiert. Fest steht, dass durch die Erfolge der oben skizzierten Politik das Sultanat in den 1230er-Jahren die bedeutendste Macht Nordindiens geworden war. Iltutmisch hatte allerdings ein politisches System etabliert, das seine Stabilität u. a. dadurch erreichte, dass eine gewisse Distanz zu der untergebenen muslimischen Bevölkerung aufrecht erhalten wurde. Das Verhältnis der einfachen Muslime zu ihren Herrschern musste daher ambivalent bleiben. Zwar waren die Notabeln des Sultans reich und mächtig und aus diesem Grunde als Patrone nützlich, aber auf der Basis einer solchen zweckrationalen Beziehung allein konnte unter den zerstreuten Gruppen von Muslimen innerhalb des Delhisultanats kein Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen. Zu Hilfe kamen die Mongolen. Die akute Bedrohung durch die Truppen Dschingis Khans veranlasste viele Muslime aus Iran and Afghanistan, in die urbanen Siedlungen Nordindiens zu immigrieren. Darunter befand sich auch eine große Zahl Sufis sowie Schrift- und Religionsgelehrter, die nach dem Trauma ihrer Vertreibung ihr Heil nicht in regional gebundenen Loyalitäten suchten, sondern darauf bedacht waren, ein überregionales Zusammengehörigkeitsgefühl im muslimischen Nordindien zu schaffen. Da diese Gruppen bei den einfachen Muslimen in hohem Ansehen standen, versuchte Iltutmisch, sie für seine Zwecke nutzbar zu machen. Die Mehrzahl der fromm gestimmten Männer akzeptierte die ihnen von Iltutmisch angebotenen Pfründen und Ämter und propagierte dafür das Ideal eines einheitlichen Refugiums für alle bedrohten Muslime im Osten der islamischen Welt.Das hier beschriebene Gleichgewicht konnte allerdings schnell zusammenbrechen. In den Jahrzehnten nach dem Tode Iltutmischs im Jahre 1236 übernahmen Emire die Herrschaft. Die Sultane regierten zwar nominell, hatten faktisch aber keine Macht. Erst Ghiyath-ud-din Balban (1266—90) schaffte es wieder, sich durchzusetzen. In dieser Zeit ging der Einfluss des Delhisultanates bereits über die Städte hinaus. Dies war ein wichtiger Schritt zur Herrschaftskonsolidierung. Die wenigen Muslime auf dem Lande hatten ihre Wohnsitze größtenteils in befestigten Kleinstädten gehabt, und die dörflichen Regionen und damit auch die Kontrolle über die landwirtschaftlichen Erzeugnisse war in den Händen der hinduistischen Dorfoberen geblieben, die der islamischen Herrschaftselite als Mittelsmänner dienten. Mit der muslimischen Durchdringung des Landes änderte sich nun auch das Verhältnis von Eindringlingen und ursprünglicher Bevölkerung. Erste Verschmelzungs- und Assimilierungsprozesse setzten ein. Viele Hindus konvertierten zum Islam, da sie auf diese Weise dem rigorosen Kastensystem und den strengen Heiratsvorschriften ihrer Religion entfliehen konnten und ihnen zudem in der Administration und dem Heer Aufstiegsmöglichkeiten offen standen.Auf Balban folgte sein Enkel Muiss-ud-din Kayqubad, der sich allerdings als unfähig erwies, den Intrigen und Ambitionen seiner Notabeln ein Ende zu bereiten und die zwischen verschiedenen türkischen Gruppen ausgebrochenen Grabenkämpfe zu stoppen. Auch sein Nachfolger, der noch minderjährige Kayumarth, war nur eine Marionette in den Händen dieser Parteien. Schließlich konnte sich der Statthalter Jalal-ud-din aus dem Geschlecht der ursprünglich aus Afghanistan stammenden Khilji behaupten. Im Jahre 1290 rief man ihn zum Sultan aus.Ala-ud-din Khilji (1296—1315)Die nächste für die Geschichte Nordindiens bedeutende Persönlichkeit war jedoch Ala-ud-din Khilji. Während seiner Herrschaft gelang es, die Mongolen aus Transoxanien zurückzuschlagen. Als die Gefahr gebannt war, richtete sich sein Augenmerk auf den Süden. Ala-ud-din Khilji eroberte als erster Herrscher des Delhisultanats Zentral- und Südindien. Zwischen 1305 und 1312 unterwarf sein Heerführer Malik Kafur weite Gebiete südlich des 20. Breitengrades, ohne jedoch eine dauerhafte Herrschaft begründen zu können.Die Voraussetzung für diese äußeren Erfolge waren Ala-ud-dins innenpolitische Reformbemühungen. Um der häufig ausbrechenden Revolten seiner Emire und der hinduistischen Erhebungen auf dem Lande Herr zu werden, begann er mit der Aufstellung eines stehenden Heeres. Eine einheitliche Erntesteuer und die Kürzung des Soldes sollten ihm die notwendigen finanziellen Mittel dafür liefern. Eine Reihe von unterstützenden Maßnahmen wurde erlassen: Ala-ud-din ließ die Preise für Grundnahrungsmittel festlegen, setzte Marktvögte in den Städten ein, gab den Auftrag, aus den Getreidelieferungen der Krondomänen in Delhi große Speicher für Notzeiten anzulegen, sorgte für die Verschärfung der Kontrolle des Getreidehandels und des Transportwesens und versuchte, den Schwarzhandel zu unterbinden. Außerdem ließ er den Besitz potenzieller Widersacher und reicher Hindus konfiszieren und erklärte alle mit den Pfründnern getroffenen Vereinbarungen für null und nichtig. Alle Abgaben mussten nun direkt nach Delhi gesandt werden. Spione berichteten dem Sultan über den jeweiligen Stand der Dinge. Darüber hinaus nahm er sowohl in Indien geborene Muslime als auch konvertierte Hindus in seine Dienste auf. Geschlagene Hinduherrscher behandelte er respektvoll, indem er sie bei Hofe empfing und in ihre Familien einheiratete. Viele hinduistische Machthaber unterwarfen sich aus diesen Gründen freiwillig, anerkannten seine Oberhoheit und entrichteten als Tributärfürsten Abgaben.Ala-ud-dins administrative Maßnahmen legten den Grundstein für eine effektive Verwaltung des Delhisultanats. Am Ende seiner Regierungszeit musste der Sultan jedoch mit ansehen, wie Machtmissbrauch, Inkompetenz, Korruption und das Streben einflussreicher Emire nach eigener Herrschaft zur Zerrüttung der Reichsangelegenheiten führten. Schließlich bemächtigte sich im Zuge der verworrenen Lage nach dem Tode Ala-ud-dins im Jahre 1320 der Statthalter Ghiyas-ud-din Tughluq des Thrones.Mohammed bin Tughluq (1325—51)Fünf Jahre später übernahm dessen Sohn Mohammed die Macht. Seine Regierung bildet den Höhepunkt der südlichen Ausdehnung des Delhisultanats wie den Beginn einer Aufgliederung in Regionalreiche. In die Anfangsjahre seiner Herrschaft fielen groß angelegte Projekte wie etwa die Gründung eines zweiten Verwaltungszentrums in Daulatabad im Süden des Reiches oder der Versuch, eine neue Währung einzuführen. Gleichzeitig kam es aber infolge einer Dürreperiode zu einer verheerenden Hungersnot in den nordindischen Provinzen. Ein Feldzug gegen Ahsan Shah Jalal-ud-din in Mabar im Jahre 1335 endete schließlich mit einer Katastrophe: Das Heer Mohammed bin Tughluqs fiel fast vollständig der Cholera zum Opfer. Auch in den darauf folgenden Jahren wüteten Seuchen und Hunger in weiten Teilen des Reiches. Die wirtschaftliche Situation war selbst in Delhi so verheerend, dass Mohammed 1337 seine Residenz in die Nähe der von der Hungersnot verschont gebliebenen Region um Jaunpur und Awadh verlegte. Erst 1340 hatte sich die Lage soweit entspannt, dass er nach Delhi zurückkehren konnte. Mohammed trachtete nun danach, die alte Stellung des Delhisultanates durch wirtschaftliche Reformen wiederherzustellen. Der Vertrauensverlust war jedoch zu groß. Afghanische Emire im Verbund mit einer Gruppe seiner Verwaltungsbeamten begehrten 1344 in Gujarat auf. Das Reich drohte weiter auseinander zu fallen. Der Sultan brach selbst mit einem Heer auf, um den Aufstand niederzuschlagen. Dieses Unterfangen erwies sich aber als schwierig, da die Rebellion von Gujarat auf Daulatabad übergriff. Mohammed gelang es nur oberflächlich, die Ordnung wiederherzustellen. Als ein Emir in Gujarat rebellierte und der Sultan zur Niederschlagung dieser Erhebung aufbrach, fielen die Provinzen um Daulatabad endgültig ab. Es bildete sich dort das von Delhi unabhängige Bahmani-Sultanat (1347).Die Legitimität des Herrschers von Delhi beruhte auf dem Glauben an althergekommene politische wie soziale Strukturen. Der Sultan griff auf ein islamisches Ordnungs- und Wertesystem zurück, das sich im Laufe von Jahrhunderten herausgebildet hatte. Mohammed bin Tughluq übte Herrschaft mittels eines großen Verwaltungsstabes aus und setzte sie mithilfe eines ihm ergebenen Heeres durch. Sowohl der Verwaltungsstab wie auch die Soldaten mussten bezahlt werden. Daraus ergab sich die Notwendigkeit einer systematisierten Finanzorganisation. Darüber hinaus kann man davon ausgehen, dass der Sultan auch unabhängige, ihm persönlich nicht verbundene Herren auf der Grundlage seines Prestiges oder seiner sozialen Ehre an sich binden konnte. In der überwiegenden Zahl der Fälle unterwarfen sich jedoch lokale Herren angesichts der militärischen Bedrohung. Die Rechtsprechung basierte auf den traditionellen islamischen Rechtsvorstellungen. Im Mittelpunkt des administrativen Gefüges stand der Sultan mit seinem Hof, an dem die Fäden der Verwaltung zusammenliefen. In unmittelbarer Nähe des Sultans gab es eine Reihe von Ämtern, deren Inhaber eine privilegierte Stellung einnahmen. Mohammed bin Tughluq verfügte schließlich über ein umfangreiches Spionagenetz; zudem kontrollierten sich militärische und zivile Verwaltungsbeamte gegenseitig.Die hier skizzierte Herrschaftsform hatte systemimmanente Bruchstellen: In über zwanzig Aufständen versuchten Emire, ihre Beziehung zu Mohammed zu lösen, um selbstständig Herrschaft auszuüben. In der überwiegenden Zahl der Fälle konnte der Sultan den Aufstand niederschlagen. Manchmal jedoch waren die Rebellen erfolgreich. Sie errichteten dann unabhängige und mit dem Delhisultanat konkurrierende Reiche, so etwa in Mabar, Bengalen, Kaschmir und um Daulatabad.Timurs Einmarsch in Nordindien (1398) und seine AuswirkungenHatte die Aufgliederung des Delhisultanates bereits unter Mohammed bin Tughluq begonnen, so setzte ein Kampf aller gegen alle nach dem Tode seines Nachfolgers Firos Shah (1388) ein. Während verschiedene Thronprätendenten jahrelang um die Macht in Delhi rangen, machten sich viele Emire in den Provinzen selbstständig. In dieser Situation überschritt im Sommer 1398 der Mongolenherrscher Timur mit einem großen Heer den Indus. Ohne große Mühe schlug er die Truppen Sultan Mahmud Shahs (1393—1413/14) und besetzte und plünderte Delhi. Die Invasion währte nur kurz; schon am Neujahrstag 1399 zogen die Mongolen wieder ab. Dennoch hinterließen sie das Sultanat in einem Zustand der Anarchie. Der Herrscher über Delhi war nunmehr nur noch einer unter vielen miteinander im Streit liegenden Kleinfürsten.Nach dem Einfall Timurs entstanden so weitere muslimische Nachfolgestaaten auf dem Gebiet des Delhisultanats: Malwa (1401—1531), Gujarat (1396—1572), Jaunpur (1394—1476), Khandesh (1399—1599) und Multan (1444—1524). Diese Regionalreiche übernahmen meist das Verwaltungssystem der ehemaligen Zentralmacht und entwickelten jeweils eigene gesellschaftliche und künstlerische Besonderheiten, wobei es gerade hier zu Synthesen zwischen islamischer und einheimischer Kultur kam.Delhi selbst fiel 1414 an den »Sayyid« Khidr Khan (daher auch der Name Sayyid-Dynastie), ehemals Statthalter von Multan. Mahmud, der letzte der Tughluqiden, war ein Jahr zuvor gestorben. Khidr Khan und seine Nachfolger sanken jedoch auf den Stand von Provinzfürsten. Der Besitz von Delhi und die damit verbundenen historischen Ansprüche waren zu dieser Zeit so wenig wert, dass 1451 der letzte der Sayyids, Ala-ud-din Alam Shah (1445—51), die Stadt kampflos Bahlul, einem Afghanen aus dem Geschlecht der Lodi, überließ und bis zu seinem Tode 1478 nur noch in Badaun herrschte. Bahlul (1451—89), während dessen Regierungszeit viele Afghanen nach Nordindien immigrierten, konnte den Einflussbereich Delhis vor allem durch die Eroberung Jaunpurs wieder etwas erweitern. Einen Höhepunkt bedeutete die Herrschaft seines Nachfolgers Sikandar Lodi, der 1504 die neue Hauptstadt Agra bauen ließ. Unter Ibrahim Lodi (1517—26) kam es jedoch erneut zu Revolten und Aufständen. Schließlich wandte sich Daulat Khan, der Statthalter im Pandschab, an den vorübergehend in Kabul residierenden Timuriden Babur mit der Bitte, in Indien einzumarschieren.Der Neubeginn: Von Babur zu Akbar (1526—56)Babur, der väterlicherseits von Timur und mütterlicherseits von Dschingis Khan abstammte, eilte in der Tat unverzüglich nach Delhi und besiegte Ibrahim Lodi bei Panipat im April 1526. Die Afghanen zogen sich vor ihm in das Hinterland bis nach Bihar zurück. Nachdem Babur 1530 gestorben war und sein Sohn Humayun die Herrschaft in Agra übernommen hatte, gelang es Sher Shah Sur von Bihar aus, erneut ein afghanisches Reich aufzubauen. Nach einigen schweren Niederlagen gegen den neuen Machthaber im Osten sah sich Humayun sogar gezwungen, bis nach Persien zu fliehen. Der Sohn Sher Shahs, Islam Shah (1545—53), eroberte zwar Bengalen und Multan, doch brach nach seinem Tode ein erbitterter Erbfolgekrieg aus. Humayun nutzte die Gunst der Stunde und erschien 1555 erneut mit einem großen Heer in Indien. Im Februar eroberte er Lahore, im Juni schlug er die Afghanen bei Sirhind, und im darauf folgenden Monat marschierte er in Delhi und Agra ein. Der alles entscheidende Sieg gelang aber erst nach seinem Tode (Januar 1556) unter nomineller Führung des neuen Moghulherrschers Akbar (1556—1605).Koexistenz der Religionen oder muslimische Fremdherrschaft?Herrscher wie Iltutmisch, Ala-ud-din Khilji und Mohammed bin Tughluq haben immer wieder versucht, die muslimische Herrschaft zu zentralisieren und zu konsolidieren und den Herrschaftsbereich des Sultanats nach Süden hin auszuweiten. Sie scheiterten, weil sie die in der Geschichte Indiens typischere Form von regional ausgeübter Herrschaft zu durchbrechen suchten. Keines der vielen Großreiche des Subkontinents war in der Lage, den Zentrifugalkräften auf Dauer standzuhalten. Gerade das frühe Mittelalter hat in Indien die Entstehung von Regionalkulturen gefördert. Daran haben auch die Sultane in Delhi nichts ändern können, die letztlich keinen gewaltsamen Bruch mit der Tradition der Rajputen herbeiführten, da auch sie nur eine nominelle Oberhoheit und keine vollständige Kontrolle über ihre Untergebenen anstrebten. Rechtsprechung und lokale Administration blieben in den Händen der Einheimischen. Ebenso wurden die meisten religiösen Bräuche und Traditionen nicht angetastet. Die meisten hinduistischen Machthaber konnten vor Ort ihre Herrschaft weiter ausüben, wenn sie nur die geforderten Abgaben leisteten. Obgleich es während der Sultanatsperiode eine große Migration von Muslimen nach Indien gab, kamen in erster Linie Sufis und Gelehrte, sodass auf den unteren Gesellschaftsebenen, vor allem auf dem Dorf, keine Verdrängung der Hindus stattfand. Die Beziehungen des Delhisultanates zur hinduistischen Bevölkerung bestimmten eher politische als religiöse Überlegungen. Einheimische Führer waren als Tributärfürsten und hinduistische Bauern als Steuerzahler wichtig, wohingegen in der Administration vor allem zum Islam konvertierte Hindus tätig waren. Im Laufe der Zeit kam es aufgrund der fortwährenden Regionalisierung zu Verschmelzungs- und Assimilierungsprozessen, die eine dynamische und schöpferische, sich gegenseitig befruchtende Koexistenz der beiden Religionen ermöglichten.Stephan Conermann, KielWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Indien (1526 bis 1857): Von den Moguln zu den BritenGrundlegende Informationen finden Sie unter:Indien vom Mauryareich bis zur Guptadynastie
Universal-Lexikon. 2012.